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Das Steinway A B C D

Die Erfindung des modernen Klavierbaus.

Steinway Flügel von 1895

Immer wenn ich mich mit den Gründungsgeschichten der großen Klavierbaufirmen beschäftige, komme ich ins Schwärmen. Unter all den Anekdoten und technischen Informationen hat der Werdegang der Steinway‘schen Flügel doch besonderen Stellenwert. Das Herausragendste dabei ist, dass die Steinway-Erfindungen alles was danach kam so sehr prägte wie sonst kein anderer Klavierbauer. Auch und insbesondere Klavierbauer, die ganz andere Klangideale verfolgten, wurden durch Steinway beeinflusst, denn die Familie Steinway erfand weit mehr als nur ein Klangbild.

Unbedingt zu empfehlen ist die Lektüre eines Beitrags, der aus dem englischen übersetzt und 1886 in der Zeitschrift für Instrumentenbau erschienen ist. Man kann den Artikel online finden, die Links sind unten angefügt. Zu lesen ist der Beitrag online beim Münchner-Digitalisierungs-Zentrum der Bayerische Staatsbibliothek. Bemerkenswert an dem Artikel, dass der Autor Theodor Steinway persönlich ist und das er eine gebündelte Zusammenfassung von der Steinway‘schen Konstruktionsentwicklung seit 1850 gibt. Es ist also davon auszugehen, dass alles, was darin geschrieben steht, in jedem Detail sehr gut überdacht ist.

Ich habe viele Artikel aus dieser Zeit gelesen und das, was Theodor Steinway hier macht, ist eine echte Rarität. Die Steinway‘schen Konstruktionen, die auch heute gebaut werden, gehen maßgeblich auf Theodor zurück. Kein anderer Konstrukteur hat die Steinway Flügel so stark geprägt.

Die Steinway'schen Flügel-Konstruktionen sind um 1885 sehr modern und neuartig. Vieles daran war vorher undenkbar, auch, weil es technisch nicht zu realisieren war. Seit dieser Zeit bis heute hat sich an der Flügelkonstruktion nicht mehr viel verändert. So kann man heute sagen, dass die Steinway-Konstruktion eigentlich recht alt und ursprünglich ist. In der Zeit nach 1885 haben fast alle Klavierbauer Aspekte der Steinway'schen Konstruktion übernommen oder weiterentwickelt. In diesem Sinne gibt es viele deutlich modernere Konstruktionsansätze. Obwohl es seit dem unter dem Firmennamen Steinway & Sons noch viele weitere kluge Köpfe und etliche Patente gab, blieb man den Grundgedanken von Theodor treu. Aus heutiger Sicht muss man Steinway geradezu als konservativ bezeichnen, denn man hält sich immer noch an vieles, was 1885 modern war.

Aber was ist daran der moderne Klavierbau? Eine wichtige Voraussetzung für die modernen Konstruktionen liegt in der Möglichkeit, die Gussplatten in hoher Güte und großen Stückzahlen anzufertigen. Eine weitere entscheidende Entwicklung fand im Maschinenbau statt, denn nur so war es möglich, eine moderne Fertigung aufzubauen. Man denke an die Hammerkopfpressen, die Rimpressen, riesige Hobelmaschinen, Fräsen zur Mechanikherstellung etc. etc. Nur so war es überhaupt möglich in großen Stückzahlen und gleichzeitig in hohen Qualitätsstandards zu produzieren. Das Handwerk wurde der industriellen Fertigung nach und nach untergeordnet. Steinway & Sons war auch hier Vorreiter, in dem sie ihre eigenen Maschinen selbst entwickelten.
Instrumente des modernen Klavierbaus haben eine Gussplatte aus Grauguss die den Stimmstock einfasst. Eine recht starke Mensur mit ca. 20 Tonnen Zugkraft, bei der die Basssaiten die Blanksaiten kreuzen. Sowie ein Spielwerk, dass eine hohe Repetition und den Einsatz von schweren Hammerköpfen zulässt. Dieses Grundkonzept ist seit ca. 1900 in jedem modernen Flügel zu finden. Im Gegensatz hierzu haben ältere Flügel oft nur angesetzte Gussplatten oder schmiedeeiserne Träger. So konnten nicht so hohe Saitenspannungen eingebracht werden, was einen eigenartigeren Klang nach sich zog. Dünnere Saiten bedürfen leichteren Hämmern und der Klang war dadurch deutlich leiser.

Die Einleitung des modernen Klavierbaus um 1900 war aber noch nicht das Ende der Entwicklung. Seit den Steinway‘schen Flügelkonstrunktionen haben sich viele andere Klavierbauer diese Vorzüge der Entwicklungen zu eigen gemacht, ohne dabei ihre individuellen Klangideale zu verwerfen. Da bis heute praktisch jeder Flügel mit den Steinway-Flügeln verglichen wird, zeigt dies, wie genial Theodors Konstruktionen sind. Ich würde sagen, dass die meisten Flügel nach 1890 in gewisser Weise trotzdem eine Weiterentwicklung der Ideen von Theodor sind, denn sie verfolgen bewusst andere Ziele. Dieser Klangpluralismus aus den Jahren 1880-1930 ist eine nicht endende Inspirationsquelle für die Klaviermusik. Immer wieder müssen sich neue Flügel an der Vielfalt messen, die damals geschaffen wurde.

Neben der klanglichen Weiterentwicklung der Steinway-Ideale, gibt es noch einen anderen Faktor, der den modernen Klavierbau antreibt. Diesen sehe ich sehr kritisch, denn die Einleitung der Industrialisierung hat den Handwerker der Fabrikation untergeordnet. Schablonen oder mittlerweile automatisierte Fertigungen ersetzen die Erfahrungen der Menschen. Ohne den Einzug der industriellen Fertigung wären die Konstruktionen nie so vollendet worden, aber durch die Industrialisierung verlieren die Instrumente immer mehr Individualität. Ein Dilemma, dessen Folgen man im Gleichklang aller neuen Flügel hört.
Ein Glück, dass all das Wissen der alten Klavierbauer in den alten Instrumenten gespeichert ist und wir es noch immer täglich hören können.

 

Zeitschrift für Instrumentenbau, Bd.: 6. 1885/86, Leipzig, 1886 Seiten 264-267 und 321-327
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