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Wie klingt eigentlich ein (alter) Flügel?

Und lässt sich das überhaupt beantworten?

Abbildung 1: Partialtonverlauf eines Ibach Flügels von 1921

Um dem nachzugehen, braucht es eine gute Strategie, denn der Weg dorthin ist steinig. Klar, es lässt sich subjektiv sagen, wie sich dieser oder jener Flügel für mich anhört. Aber dabei mache ich doch unweigerlich einen Bezug auf alle die anderen Klaviere, die ich bisher vernommen habe. Man hat zum Beispiel mal gehört, dass jemand sagt, ein alter Flügel hat mehr Obertöne. Findet man in einem neuen Flügel sehr harte Hammerköpfe und wurden diese vielleicht sogar getränkt, kann man mit Leichtigkeit bei etlichen Basssaiten über 100 Obertöne anregen. Subjektiv passt das für mich nicht mit der Vorstellung eines 100 Jahre alten Blüthner-Bass zusammen. Dieser hat doch bestimmt weniger Obertöne, oder? Im Dialog kann so manch ein zweckentfremdetes Wort von beiden Seiten doch irgendwie passend verstanden werden, eine messbare Erklärung bleibt dennoch interessant.

Piano-Klang und menschliche Wahrnehmung

Eine Messung des Klangs mit einem Mikrofon hilft bei der Auswertung. Die Messergebnisse nach grafischer Aufbereitung liefern einigermaßen objektive Erkenntnisse, die unserem Gehör helfen können. Die menschliche Wahrnehmung wird aber durch viele Faktoren beeinflusst. Das Feld der Psychoakustik ist wesentlich für die Interpretation der gemessenen Klangeigenschaften. Das menschliche Ohr nimmt kleine Schwankungen und Nuancen zum Teil wesentlich stärker wahr als eine ungewichtete Messung. Es bedarf daher immer ein Zusammenführen von Messung und Wahrnehmung. Wenn ein Instrument von dem Musizierenden selbst akustisch wahrgenommen wird, kommen fast unweigerlich auch haptische Aspekte mit hinzu. Der Nutzer vergleicht den Einsatz relativ zum Ergebnis. Faktoren, welche die Klangwahrnehmung deutlich beeinflussen, sind: Musiker oder Zuhörer, Position des Hörers/Mikrofons, Raumakustik, Spielhaptik, Aussehen und Markenname des Instruments, andere Personen im Umfeld. Variieren diese Aspekt, kommt es oft zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen. Eine Reduktion auf wenige physikalische Parameter kann daher nicht unumstritten sein.

Drei physikalische Klang-Charakteristika

Für wenig Physik-ambitionierte Leser ist dieser Abschnitt etwas schwer verständlich da etwas Grundwissen vorauszusetzen ist. Da aber der Abschnitt wichtig und auch etwas länger ist; bitte durchhalten oder überspringen ;-). Aus physikalischer Betrachtungsweise ist das, was wir als Klavierklang wahrnehmen, eine Übertragung von Schallwellen über die Luft vom Instrument hin zum Ohr, bzw. bei tiefen Frequenzen auch über die Hände und Füße über direkten Kontakt zum Boden oder dem Instrument. Betrachtet man nur den Luftschall, kann dieser anstelle des Ohrs auch mit einem Mikrofon mehr oder weniger unverfälscht aufgenommen werden. Das Mikrofon wandelt dabei den wechselnden Luftdruck in ein elektrisches Signal, welches wir als proportional betrachten und aufzeichnen können. Das heißt, wir messen den Druckverlauf über ein gewisses Zeitintervall. Zu sehen in Abbildung 2 (a), (c) und (e).

Zeit Frequenzverlaeufe

Eine große Auslenkung entspricht also einem großen Druckunterschied und eine kleine Auslenkung einer leiseren Druckwelle. Die Auslenkungen, also die Amplituden, sind immer gegenläufig, gehen im Zeitintervall immer hoch und runter. Über den Druck-Zeit-Verlauf kann zum Beispiel gefolgert werden, dass ein Klavierton durch den Anschlag rasch laut wird und danach kontinuierlich abnimmt. Das ist schon mal ein wichtiges Klangkriterium. Man nennt das Nach- oder Abklingen nach dem Anschlag auch Sustain, dieses ist in der Abbildung mit den grünen Pfeil markiert. Das Sustain kann lange andauern oder kurz sein. Genauso kann es aber auch erst sehr schnell leiser werden, dann aber lange nachklingen oder andersherum. Im Allgemeinen ist das Sustain in jeder Lage vom Bass zum Diskant sehr unterschiedlich. Dieses Laut-Leise-Werden ist nun unser erstes Charakteristikum des Klavierklangs.

Aus dem Gezappel des Druck-Zeitverlaufs sehen wir aber nichts von den Frequenzen, die dabei übertragen werden. Da jedes Schwingung-Gezappel durch diverse Sinus-Kurven genähert werden kann, schaut man, welche Sinus-Kurven im Druck-Zeit-Verlauf ausgeprägt sind und welche weniger. Der Computer mach dies mit einer FFT-Analyse. Dabei wird ein Zeitintervall betrachtet und die zu den Sinus-Kurven korrespondierenden Frequenzen gespeichert. Das heißt, jetzt wissen wir nicht mehr genau, wann eine Druckwelle mit einer gewissen Frequenz da war, aber wir wissen, mit welcher Druckamplitude die Frequenz vertreten ist. Daher ist dies jetzt ein Druck-Frequenz-Verlauf eines vorher definierten Zeitfensters. In Abbildung 2 (b), (d) und (f) ist der Druck-Frequenz-Verlauf des vorherigen Druck-Zeit-Verlaufs dargestellt. Erst jetzt sieht man, dass es sich tatsächlich um einen Klavierton handelt und nicht etwa um einen Trommelschlag, der einen ähnlich Druck-Zeit-Verlauf haben könnte.
Das erste Maxima des Frequenzverlaufs ist der Grundton des angeschlagenen Saiten-Chors, dieser ist mit dem roten Pfeil markiert. Die übrigen Maxima bilden die Obertöne dieser Saiten, einige davon sind orange hervorgehoben. Die Frequenzen der Obertöne sind inharmonisch etwas verzerrte Vielfache des Grundtons. Aufgrund der Inharmonizität der Saite, welche auf die Eigensteifigkeit der Saite zurückgeht, trifft die Bezeichnung Partialton besser als Oberton, da dieser eine exakte Vielfachheit assoziiert. Im Zusammenhang zum Klavier wird aber Oberton und Partialton häufig synonym genutzt.
Die Klaviersaiten vermögen je nach Lage bis zu 80-90 Partialtöne auszubilden. Bei den höchsten Tönen des Klaviers kommen dagegen nicht mehr als 3 oder 4 Partialtöne zustande. Ist der Grundton nicht ausgeprägt, z.B bei sehr tiefen Tönen, bleibt dieser in Form des Abstands der Obertöne erhalten. In Abbildung 2 sind zu drei verschiedenen Zeitverläufen die Frequenzspektren aufgetragen. Die Partialtöne sind durch deutliche Maxima zu erkennen. Im Bass sind der Grund- und erste Oberton deutlich schwächer als die folgenden Obertöne. Das menschliche Ohr nimmt die Partialtöne und deren relative Amplituden nicht einzeln wahr, sonder als eine dem Grundton zugehörige Klangfarbe. Dieser charakteristische Partialtonaufbau ist nun unser zweites Klavier-Klang-Charakteristikum.

Ein typisches Schlaggeräusch kann ein ähnliches Sustain haben wie der Klavierton. Schließlich erzeugt der Klavierhammer ja auch einen Schlag. Typisch bei so einem Geräusch ist die breitbandige Frequenzanregung. Das heißt, es werden nicht nur einzelne Frequenzen wie die des Grund- oder Obertons angeregt, sondern alle Frequenzen in einem gewissen Verhältnis. Ein typisches breitbandiges Geräusch ist ein Rauschen oder ein Knall. Die breitbandigen Rauschanteilen sind auch in den Druck-Frequenz-Verläufen zu sehen insofern zwischen den Grund- und Obertönen auch die andern Frequenzen etwas zu sehen sind. Diese Rauschanteile sind nun unser drittes Klang-Charakteristikum. Man sieht in Abbildung 2 markiert durch die blauen Pfeile, dass im Diskant die Rauschanteile relativ gesehen stärker ausgeprägt sind.

Ich denke, dass man mit diesen drei Charakteristika sehr gut einen Klavierton darstellen kann. Die Unterschiede zwischen verschieden starken Anschlägen und verschiedenen Instrumenten sind so gut erkennbar. Demnach müsste es ja auch möglich sein, so den Unterschied zwischen gealterten und neuen Flügeln darzustellen.

Wie kling nun ein alter Flügel?

Oft bekommt man zu hören, dass alte Flügel ein langes Sustain haben. Das liegt an zwei Faktoren:
Einmal fehlt einem alten Flügel Spannung im Resonanzboden. Dadurch kann die Energie vom Hammeranschlag nicht so schnell aufgenommen und abgestrahlt werden. Da die Energie so länger in der Saite bleibt, hat man auch ein länger andauerndes Sustain.
Der zweite Grund liegt an der Energieabsorption im Resonanzboden selbst. Durch das ewige Einschwingen über die hundert Jahre ist es dem Instrument möglich, sehr wenig Energie durch Reibung zu dissipieren. Selbst der leiseste Ton bleibt so sehr lange hörbar. Im Gegensatz dazu gilt natürlich das Gegenteil, wenn der Flügel irgend einen Schaden hat und die Energie anderweitig abführt.

Bei dem zweiten Charakteristikum, dem Partialtonverlauf, kam nach einigen Messungen für mich ein überraschendes Ergebnis heraus. Durch die Alterung werden nicht unbedingt mehr Obertöne angeregt, darüber entscheidet vielmehr die Wahl des Hammers, sonder die Partialtöne haben zueinander ein anderes Verhältnis, zu sehen ist dies in einer der Abbildung 3 weiter unten. Auch so passt die Analogie zur oben genannten Klangfarbe. Diese verändert sich scheinbar durch die Alterung. Der Partialtonverlauf hat sich derart gewandelt, dass der Grundton häufig etwas leiser ist als bei neueren Flügeln. Dies kann gut mit der verlorengegangenen Resonanzboden-Spannung erklärt werden, denn ein weniger gespannter Boden kann die hohe Energie nicht so schnell aufnehmen. Stattdessen werden etliche Obertöne zu größeren Amplituden angeregt. Dies sind sozusagen eher mittlere Obertöne die nun im Verhältnis zum Grundton andere Amplituden aufweisen. Werden mehrere Töne gleichzeitig gespielt, haben wir so viel mehr verschiedene Frequenzen mit ähnlichen Amplituden. Da dies zu starken Wechselwirkung dieser Frequenzen untereinander führt, erklärt dies, warum wir einem alten Flügel einen sehr lebendigen Ton nachsagen. Kleinste Nuancierungen erzeugen so ein bunt variierendes Klangbild. Dies deckt sich so gut mit unserer Wahrnehmung, denn werden die Töne einzeln nacheinander angeschlagen, können wir das Instrument fast nicht einordnen. Akkorde und Melodien hingegen bringen den alten Flügel zum singen.

Die perkussiven Rauschanteile im Klavierton werden maßgeblich von den Eigenschaften des Hammerkopfs beeinflusst. Also müsste man hier eher schauen, wie klingen alte oder neue Hammerköpfe. Das Alter des Flügels ist dabei nicht so wichtig. Es gibt alte Hammerköpfe, die sehr elastisch sind. In so einem Fall erzeugt ein weicherer hoch elastischer Hammer einen ähnlichen Obertonaufbau wie ein härterer weniger elastischerer Hammer, nur dass der erstere dabei reiner kling, da weniger Schlaggeräusche erzeugt werden.

Ich hoffe, diese Beschreibungen decken sich mit den Beobachtungen der Leser. Obgleich ja im Allgemeinen jeder Flügel, egal ob alt oder neu, unterschiedlich klingt, so hoffe ich doch, so eine Grunderklärung gefunden zu haben, die sich im Durchschnitt bewahrheitet. Hinzu kommt hoffentlich noch, dass jeder Erkenntniserwerb auch wieder die Sinneswahrnehmung schärft.

Partialtonvergleich

Abbildung 3: Vergleich des Partialtonaufbaus zweier Steinway Flügel.
Der neuere ist aus den 60er Jahren, der ältere aus den 20er Jahren.