Episode 7: Von der Taste zum Ton!
Saiten, Stege und Resonanzboden – Die Impedanzverläufe
Es gibt solche kleinen Details, die erst einmal gar nicht weiter auffallen. Sind sie jedoch einmal im Bewusstsein werden diese Kleinigkeiten bedeutsam. Mir sind in diesem Zusammenhang einige solcher Details in den Sinn gekommen. Anhand 10 kleiner Episoden verfolgen wir den Impuls vom Finger durch den Flügel bis ins Ohr.
So wie beim Hammeranschlag der Hammer nicht ohne der Interaktion der Saite ausgewertet werden kann, müssen hinsichtlich der Klangentwicklung Saiten, Steg und Resonanzboden gemeinsam betrachtet werden.
Als Kinder waren wir oft an der Nordsee und haben uns Sandburgen mit Kanälen gebaut. Wenn dann die Flut kam und besten Falls noch ein großes Schiff vorbei fuhr, kam endlich eine ausreichend große Welle, die sich durch die Kanäle zwängte, hin und her schwappte und schließlich im Sande versiegte. Dieses Bild kam mir gerade hinsichtlich der Idee, dass in so einem dynamischen System wie dem Piano die Energie, die durch den Hammerimpuls eingebracht wurde, sich immerzu im Fließen befindet bis diese versiegt. Und so ist es beim Klavier ebenso wie bei der Welle, die das Wasser bergauf drückt, dass die Schwingungsenergie nicht nur von den Saite in den Resonanzboden fließt, sondern von dort auch wieder zurück in die Saiten. Für die kurze Dauer des Hammeranschlags, kann man Steg und Resonanzboden zwar vernachlässigen, hinsichtlich der Klangformung gehören diese aber zwingend zusammen.
Nun muss es ja so sein, dass eine gezielte Kombination von Saiten, Steg und Resonanzboden auch einen gezielten Klang erzeugt. Vereinfacht gesagt könnten die zur Wahl stehenden Parameter folgende sein: Durchmesser und Länge der Saite, Höhe und Breite der Stege sowie Steifigkeit, Wölbung, Größe, Berippung und Bodenlager des Resonanzbodens. Wobei jeder Bereich auch wieder verlustbehaftet ist, sprich Schwingungsenergie in Wärme gewandelt wird.
Wenn ich mir nun für jede Kombination dieser Charakteristika einen entsprechenden Klang assoziieren möchte, würde ich mich sehr verloren fühlen. Dahingehend finde ich das Bild der fließenden Energie unglaublich hilfreich. Denn so kann ich mich z.B. fragen: Wie verhält sich die Steggeometrie auf das Fließen der Energie? OK nun würde ich vermuten, dass ein kleiner zarter Steg die Energie schneller aus der Saite fließen lässt und ein massiver Steg die Energie länger in der Saite speichert. Der Steg ist für den Energiefluss also ein Widerstand. Im Bereich dynamischer Systeme bezeichnet man diese Widerstände als Impedanzen. Was der Leser sich in diesem Zusammenhang merken sollte, ist die Frequenzabhängigkeit. Denn typischerweise ist der Fließwiderstand für jede Frequenz etwas unterschiedlich. Dies könnte bedeuten, dass der zarte Steg nur für einige Frequenzen einen kleineren Widerstand darstellt.
Wird dadurch denn etwas einfacher? Ich denke schon, denn so kann ich nun jede Komponente isoliert betrachten und mit einer symbolischen Tür versehen, die an beiden Seiten einen Türsteher hat welcher entscheidet, ob und wie schnell die jeweilige Welle hindurch darf.
Wofür ist das wichtig? Nun bevor man über Detailfragen wie die Ausarbeitung des Resonanzbodens philosophiert, ist die reine Beobachtung alter Flügel eine riesige Schatzkammer. Die Konstruktionsvielfalt der alten Meister ist so groß, dass alleine durch die Analyse dessen was schon vormals gebaut wurde, eine Antwort auf (fast) alle meine Fragen geliefert wird. Stünde ich nun ohne dieses Impedanz-Idee vor so einem alten Flügel, fiele es mir sehr schwer einen Zusammenhang von Klang und Konstruktion zu erkennen. Um zu verstehen wie man die Impedanz abschätzen kann, hilft die Standartliteratur zu Akustik und Körperschall. Selbst eine kompakte Zusammenfassung davon würde hier deutlich den Rahmen sprengen.
Für denjenigen der selbst auf Entdeckungssuche gehen möchte hier ein paar (ver)einfache(te) Analogien für den Selbstversuch:
Ich beziehe mich auf Flügelmodelle um 1900.
Steinway hat viel Spannung im Resonanzboden, kann so die Energie im Forte besonders gut aufnehmen. Im Piano daher etwas synthetisch oder eintönig.
Blüthner hat einen sehr breiten Resonanzboden, verliert dadurch schneller an Spannung, gerade den tiefen Teiltönen kommt diese Bewegungsfreiheit zugute. Die Obertöne der Mittellage kommen dagegen kaum noch durch.
Ibach hat breite Stege und einen steifen Resonanzboden, tiefe Frequenzen haben es schwer, hohe Frequenzen strahlen sehr sauber. Daher ein sehr langer und spannender Sustain.
Bechstein sucht geometrisch die goldene Mitte. Mit weniger Vorspannung übersteuert das Forte früher der verzichtet auf eine Duplexscala mildert dies jedoch etwas ab. Im Mezzoforte und Pianissimo unglaublich rein und charakterstark.
Viel Spaß beim Entdecken!
Abbildung oben: Messung der Eingangsimpedanz an einem Steg. Mit einem Kraftsensor, der als Hammer fungiert, wird ein gezielter Kraftimpuls in den Resonanzboden eingeleitet. Nahe bei der Einleitungsstelle (Aluminium-Kappe) wird die Beschleunigung am Steg gemessen. Hieraus lässt sich die Schnelle und so die Impedanz berechnen.
Abbildungen unten: An zwei sehr ähnlichen Steinway-Flügeln wurden die Eingangsimpedanzen an acht verschiedenen Stellen gemessen. Die oberste Kurve beschreibt den Anfang vom Basssteg, die untere das obere Ende vom Diskantsteg. Für die bessere Sichtbarkeit wurden die Kurven jeweils um 30dB nach unten verschoben. Ein niedriger Punkt in den jeweiligen Kurven beschreibt eine Resonanzstelle. Bei dieser Frequenz können Steg und Resonanzboden besonders gut schwingen. Die hohen Punkte in der Kurve bedeutet eine hohe Impedanz und damit einen großen Einleitungswiderstand. Bei diesen Frequenzen wird die Energie in die Saite zurück reflektiert. Dort wo mehrere Kurven die gleiche Resonanzfrequenz haben, hat der Resonanzboden eine starke Eigenmode. Wenn eine Kurve keine Resonanzstelle hat, die anderen aber schon, dann ist an dieser Stelle ein Knotenpunkt der Eigenmode. Möchte man an dieser Stelle eine Frequenz einleiten, gelingt dies schwerlich, obwohl der Resonanzboden diese Eigenmode an sich gut verstärken könnte.